Thema: Dinge, Interaktivität und kulturelle Bildung
Grundlagentheoretische Reflexionen und Ergebnisse einer Grounded Theory der Bildhauerei
Kurzabstract
1. Forschungsstand und Erkenntnisinteresse
Im neu entstandenen Feld der transdisziplinären kulturellen Jugendbildungsforschung finden sich viele quantitative Wirkungsstudien, die die positiven Wirkungen kultureller Bildungs-projekte thematisieren. Obwohl die konstitutiven Verschränkungen und Transaktionen von Subjekten und physischen Dingen in und durch Praktiken für alle Sektoren der kulturellen Jugendbildung wie bspw. Musik, Theater, Bildhauerei etc. von analytischem Belang sind, mangelt es den im Feld durchgeführten Studien von wenigen Ausnahmen abgesehen an einem empirischen und theoretischen Dingbezug sowie einem theoretisch-begrifflichem Instrumentarium, mit dem die hier vorfindlichen Interaktivitätsformen angemessen analytisch erfasst werden können. Hinsichtlich bildhauerisch-künstlerischer Praktiken – in denen ja die Transformation von Materialien und die Produktion von Dingen wie vor allem Kunstwerken im Zentrum steht – fällt auf, dass bis jetzt keine empirischen Explorationen von Orten, an denen mit Jugendlichen bildhauerisch-künstlerisch gearbeitet wird, vorgenommen und auch keine datenverankerten Theoretisierungen (Grounded Theories) der dort vorfindlichen Praktiken erstellt wurden. Vor diesem Hintergrund wird in meiner Dissertation, ausgehend von einem exemplarischen Fallbeispiel der kulturellen Bildung, nämlich der bildhauerisch-künstlerischen Arbeit wie sie in einer ausgewählten Bildhauerwerkstatt mit straffällig gewordenen Jugendlichen praktiziert wird, eine datenverankerte Theoretisierung dingbezogener kultureller Lern- und Bildungsprozesse vorgenommen.
Die gegenstandsbezogene Forschungsfrage, die in der Dissertation verfolgt wird, lautet: Wie wirken welche der in den Praktiken der ausgewählten Bildhauerwerkstatt vorfindlichen sozial-symbolischen, kognitiv-individuellen und materiell-dinglichen „Entitäten“, Prozesse und Bedingungen situativ zusammen, so dass bei den Jugendlichen kulturelle Lern- und Bildungsprozesse entfaltet werden?
Die analytisch übergreifende Forschungsfrage lautete: Welche Funktionen erfüllen Objekte in lern- und bildungsrelevanten Interaktivitäten und wie lassen sich situationsbezogene Interaktivitätsdynamiken theoretisch modellieren?
2. Aufbau und Ergebnisse
Die Arbeit besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil werden im Anschluss an eine Darstellung des Forschungsstands und die der Dissertation zugrundegelegten Methodologie (S. 5-26) die subjektiven Erfahrungen und das Erfahrungswissen, das Fachkräfte und Jugendliche in der ausgewählten Bildhauerwerkstatt gesammelt haben, mittels problemzentrierter Interviews und teilnehmender Beobachtungen rekonstruiert und mit Hilfe der Grounded Theory und in Anlehnung an die Situationsanalyse ausgewertet. Durch Einzelanalysen und komparative Analysen konnten auf diese Weise vier gegenstandstheoretische Kategorien für die Fachkräfte und neun für die Jugendlichen erarbeitet sowie die Funktionen, die Dingen, in bildhauerischen Interaktivitäten zukommt, analysiert werden (S.27-87). Im zweiten Teil der Arbeit wird auf der Grundlage neuer Lesarten von vor allem der Meadschen Handlungstheorie und der Mannheimschen Wissenssoziologie eine mehrdimensionale auf dingbezogene Interaktivitäten thematisch bezogene Rahmungs- und Grundlagentheorie erarbeitet. Ergänzend wurden dafür die Ansätze und Konzepte solch unterschiedlicher Theoretiker_innnen wie Michel Serres, Arnd-Michael Nohl und Karan Barad herangezogen (S. 88-194).
Im dritten Teil der Arbeit (S. 195-226) werden auf Grundlage einer weiteren Komparation der im ersten Teil erarbeiteten Gegenstandskategorien empirisch-theoretische Wechselwirkungen zwischen der bildhauerischen Gegenstandstheorie bzw. den Gegenstandskategorien und der mehrdimensionalen Grundlagentheorie initiiert.
Dadurch konnten die folgenden vier hybriden Schlüsselkategorien erarbeitet werden:
(1) Atmosphärische Kontagion als Einstieg
(2) Bildhauerisch konjunktive habits
(3) Transaktive Dynamik pluraler Entitäten
(4) Exploratives kulturelles Lernen
Diese Schlüsselkategorien sind in ein analytisches Modell dingbezogener kultureller Lern- und Bildungsprozesse eingeflossen, welches zugleich ein multifaktorielles Wirkungsmuster kultureller Bildungsprozesse mit analytischem Verallgemeinerungspotential darstellt. Im Ausblick der Arbeit wird darauf hingewiesen, dass weiter über eine Metatheorie und Methodologie symmetrischer Analysen nachgedacht werden sollte.
Studienabschluss
Diplom-Soziologe
Die Dissertation ist hier zu finden.